Synästhesie

Einer der entscheidenden Unterschiede zu anderen Menschen ist bei Frau Fenster die Synästhesie. Sie beeinflusst nachhaltig die Wahrnehmung und ist angeboren, sie ist auch nicht krankhaft oder störend, sondern schlicht und ergreifend anders. Aber was ist Synästhesie genau? Synästhesie ist zum einen die Verbindung mehrerer Sinne miteinander.

 

Synaesthesia.com sagt:

„Synästhesie heißt gleichzeitige Wahrnehmung verschiedener Sinne. Es gibt Menschen, die diese Fähigkeit in sich tragen und deren Erleben durch diese Sinnesverschmelzungen geprägt ist. Es gibt verschiedenste Arten von Synästhesien. Nicht jeder Synästhetiker muss zwingend alle verschiedenen Verkopplungen haben. Zu den häufigsten Typen zählt die graphemische Synästhesie. Es handelt sich hierbei um die unfreiwillige Assoziation von Farben zu einzelnen Buchstaben und Zahlen, welchen von gewissen „Synnies“ sogar ein Charakter oder ein Geschlecht zugeordnet wird.“

Das findet sich bei Frau Fenster vor allem in der Musik wieder.

 

Wikipedia sagt:

„Als besondere Form der Synästhesie wird hier die Musik-Farben-Synästhesie dargestellt: Dabei handelt es sich um das Erzeugen von Farbeindrücken durch Töne. Diese Form der Synästhesie basiert somit auf Notennamen, Tonhöhen, Tonarten, Klangfarben und akkordischen Strukturen. Ändert man nun einen Ton, (zum Beispiel in der Höhe) so sollte sich auch die synästhetisch empfundene Farbe ändern. Bei der auditiv – visuellen Synästhesie gibt es daher sogenannte Korrespondenzregeln: So kommt es zum Variieren von Formen, Größe der Objekte und Helligkeit der Farben bei Veränderung der Lautstärke, Ton und Tempo. […] Emotionales Erleben von Musik wird durch die visuelle Reaktion verstärkt. Die Synästhesie ist also zusätzlich, stört dabei aber keinesfalls das musikalische Empfinden.“

Das ist eine recht anschauliche Beschreibung, dennoch kann sich kaum jemand vorstellen, was da wirklich passiert. Grade Farben und Musik lösen in uns unendlich viele Emotionen aus, doch wie muss das denn sein, wenn beides in Kombination wahrgenommen wird?

 

Ein Versuch der Künstlerin, das Ganze selbst zu beschreiben:

„Also erstmal reagiere ich nicht auf jede Musik. Volksmusik und Schlager lösen in mir eher Aggressionen aus, in Farben gesagt, seh ich da einfach rot. Auch viele Sachen, die täglich im Radio gespielt werden, rühren mich nicht besonders. Und mit Techno oder generell elektronischer Musik kann ich selten was anfangen.

Am meisten reagiere ich auf Gitarren, egal ob etwas Seichtes als Akustikversion oder etwas Lautes in einem Rocksong. Auch Stimmen sind da ganz wichtig. Die meisten Sachen, die ich so höre, werden von Männern gesungen. Ich vermute, dass ich mehr auf dunkle, bassige Töne und Klänge gepolt bin als auf die Höhen einer weiblichen Stimme.

Sobald ich „meine“ Musik höre und den ersten Klang vernehme, ist es wie ein tiefes Einatmen. Ein Nachhause kommen und trotzdem nicht wissen, wohin es mich führt. Es ist das einzige, das mir keine Angst macht. Ich bin dort frei, und niemand kann dorthin, um es zerstören oder mir wegzunehmen.

 

Und jedes Mal bin ich umgeben von kräftigen, intensiven Farben, je nach Klangfarbe oder Tonhöhe. Es unterliegt sogar einem einfachen, logischem Prinzip: Je höher der Ton ist, den ich höre, desto heller ist die Farbe. Je tiefer der Ton, desto dunkler mein Farbbild im Kopf.

Ich kann also einen Song in Wellen voller Farben wahrnehmen. Ich kann es auch nicht richtig steuern, sobald ich so etwas höre, selbst wenn es nur ein Klang ist, den ich vielleicht beim Spaziergehen wahrnehme ohne dabei Musik zu hören, sehe ich dazu ein Farbbild. Es ist selten, dass es nur eine Farbe ist.

In der Musik selbst ist das etwas anders. Viele Songs haben ein Intro aus einem Klavier oder Geigenstück. Da sehe ich die Farben dann teilweise einzeln, da ich die Töne ja auch einzeln aufnehmen kann. Doch sobald dann eine Tonreihenfolge erklingt, sind es wieder mehrere Farben. Es ähnelt sehr diesen Visualisierungen bei verschiedenen Mp3 Playern.

 

Mein Kopf ist wie ein großes Haus, in dem es verschiedene Zimmer gibt. Manche Räume sind verstaubt und mit Spinnweben übersät, bei manchen geht die Tür nicht mehr auf, und andere sind nur einen kleinen Spalt geöffnet und wieder andere wirken bedrohlich und düster. Aber es gibt auch Räume voller strahlender Wärme und durchdringender, herzlicher Farben. Diese Räume sind meistens Personen gewidmet, die mir ganz nah am Herzen liegen oder es finden sich dort besondere Erinnerungen wieder.

Zu all diesen Räumen gelangt man nur durch einen großen, endlos langen Flur. Und dort wohnt die Musik mit ihren Farben. Wie ein dunkler Kellerraum, in dem ein Filmprojektor steht, der beim ersten Klang den Raum in ein Farbmeer taucht und jedes Mal eine neue, magische Welt projiziert. Manchmal tauchen die Farben wellenförmig auf, sie wiegen sich sanft im Takt der Musik und schweben langsam an mir vorbei, und bei schnellerer, aggressiverer Musik blitzen sie einfach nur hell leuchtend auf, nur ganz kurz um gleich wieder zu entschwinden, etwa wie ein Funkenregen oder ein tosendes Gewitter.

Manchmal ist es auch, als stünde ich in diesem Kellerflur und die Wände fangen zu beben und zu schwitzen. Kleine Tröpfchen bilden sich wie unschuldiges Morgentau, doch sie wachsen zu großen, bunten und klebrigen Honig (Farb)tropfen, die versuchen, mich in sich aufzunehmen.

 

Und das kann ich auch alles sehr deutlich physisch wahrnehmen, weil ich genau auf die Stellen auf meinem Kopf zeigen kann, die gerade stimuliert werden. Aber es ist ja nicht nur so, dass ich ’nur‘ Farben wahrnehme. Da passiert ja noch viel mehr. Zu einem kann ich dabei nicht stillsitzen. Meistens versuche ich den Takt mit den Fingern zu klopfen, oder mein rechter Fuß wippt im Takt hin und her.

Meine Augen schließen sich ganz automatisch, damit ich von meiner Umgebung nicht abgelenkt werde. Meine Arme und Hände fangen an sich zu bewegen, ich versuche, die Töne und Farben in der Luft nachzuzeichnen. (Ich weiss, dass es ein wenig schräg und bekloppt aussieht).

Mein Kopf neigt sich zur Musik hin, als könnte ich so besser hören, er fällt in den Nacken, zur Seite oder nach vorne, je nachdem, aus welcher Richtung ich die Töne wahrnehme. Manchmal bekomme ich auch Gänsehaut. Die Musik trägt mich einfach davon, und mein Körper ist durchflutet von leuchtenden Melodien und ich bin angefüllt mit reiner Energie. Und in mir schwingt und klingt es, so als ob ich selbst Teil von diesem versteckten Universum bin.

 

Alles in mir fühlt sich leuchtend bunt, wie ein Feuerwerk tobt es und will raus, es will explodieren und sich zeigen. Die Energie lässt sich nicht zurückhalten und verschmilzt mit meiner sehnsüchtigen Seele. Es dauert meist nur wenige Minuten, bis ich mich nicht mehr halten kann und selbst singen muss. Ja, es ist ein Muss, fast schon ein Zwang, der sich nicht unterdrücken lässt, und dennoch seit meiner Kindheit völlig natürlich ist, wenn ich mich unbeobachtet und frei fühle.

Wenn ich dann versuche, alles rauszulassen, fühlt es sich an, als würde mein Wesen jeden Raum sprengen, als fülle meine Seele den Raum und breitet sich aus, damit sie für diesen Augenblick atmen kann. Nur dann kann ich ICH sein. Meine wahre Natur. Mein wahres Wesen.

Es ist wie ein Orgasmus im Gehirn, ja, wirklich, es übertrifft für mich so ziemlich alles, was ich bis jetzt erlebt habe, es ist der Teil meines Lebens, der mich dazu gebracht hat, nie aufzugeben, immer weiter zu machen. Es ist meine WAHRE Liebe. Ich erinnere mich, als ich als Kind von John Miles den Song ‚Music‘ das erste Mal hörte. Und ich habe sofort verstanden, was er meint. Ohne die Sprache groß verstehen zu müssen.

Ich bin ein Werkzeug der Musik. Und ich muss es wieder geben, entweder versuche ich in Texten das Erlebte mit Worten festzuhalten, oder ich versuche es in meinen Bildern. Sie sind Ausdruck dafür, was in meinem Kopf passiert, und wenn ich male, MUSS ich Musik hören. Das gehört einfach zusammen.“ – Frau Fenster, 2013